Zwar waren wir letztes Silvester schon einmal in Suzhou in der Provinz Jiangsu, damals allerdings mit einer Reisegruppe, die sich schnell als Butterfahrt für Seidenprodukte herausgestellt hatte. Nachdem wir uns erfolgreich von dieser abgeseilt hatten, war es leider schon fast zu spät, um noch viele Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Es war also klar – da müssen wir noch mal hin, auf eigene Faust natürlich! Neulich hat sich an einem freien Samstag also die Gelegenheit ergeben, den Rest von Suzhou zu besuchen.
Das Schöne an Suzhou ist, dass seine Innenstadt größtenteils als echte Altstadt belassen wurde, d.h. nette Fotomotive überall. Denn die typischen, weißen Häuschen mit schwarzen Dächern, Brücken und kleine Kanäle sind hier omnipräsent. Ein Umstand übrigens, den sich Hochzeitsfotografen zu Nutzen gemacht haben. Nahezu an jeder Straßenecke gibt es entsprechende Ateliers und ständig stolpert man über irgendwelche professionellen Fotoshootings.
Der Garten des bescheidenen Beamten
Die Stadt beglückt außerdem mit zahlreichen historischen Gärten. Der größte und schönste von ihnen ist Zhuōzhèng Yuán, »der Garten des bescheidenen Beamten«. Da dieser zum Weltkulturerbe ernannt wurde, ist es nicht verwunderlich, dass der Eintrittspreis mit satten 70 RMB (ca. 7 Euro) pro Person zu Buche schlägt — erstaunlich allerdings, wie viele Chinesen sich das heutzutage leisten können…
Oktober ist allerdings eindeutig zu spät für einen Gartenbesuch. Zwar versuchte man mit aufgestellten Kübelpflanzen davon abzulenken, dass im Grunde nirgends mehr was blüht, aber die Botanik schreit es einem trotzdem entgegen — es ist Herbst!
Pingjiang-Straße
Nicht weit entfernt befindet sich die Pingjiang-Straße. Diese ist ein altes Viertel mit Kanälen und alten Häusern, in denen man noch ganz normal wohnen kann. Allerdings wird das Viertel gerade zu einem hippen Szene-Bar-Viertel umgemodelt…
Shantang
Nach einem Abendessen in einem überteuerten Restaurant machten wir uns im Dunkeln auf nach Shantang, nachdem wir der Einkaufsmeile eher zufällig einen Besuch abgestattet hatten. In der Fußgängerzone machte gerade eine Hochzeitsfotoagentur mit lauter Rockmusik à la »I hate myself and I want to die« auf sich aufmerksam. Wundert mich nicht mehr, nachdem mir erst letztens jemand von einer Firmeneröffnung zu feierlicher Winnetou-Musik erzählt hat…
Shantang ist eine weitere Sehenswürdigkeit von Suzhou und wie die Pingjiang-Straße ein Gebiet mit Gassen, Häuschen und Kanälen. Das Viertel verströmt allerdings diesen typisch künstlichen Touch, der so vielen restaurierten chinesischen Stadtvierteln anhaftet. Malerisch bleibt es trotzdem und das finden auch wir Touristen. Im Dunkeln verströmt das Viertel obendrein eine ganz eigene Atmosphäre.
Auf dem Rückweg genehmigten wir uns noch ein schnelles, zweites Abendessen an einem mobilen Straßengrill. Als Ausländer war ich offensichtlich ein guter Werbeträger, da die Grillerin (oder was immer die korrekte Berufsbezeichnung für eine Frau sein mag, die jeden Abend auf einem Dreirad einen Grill anschmeißt, ein paar Klapptische und -stühle auf den Gehweg stellt, illegale Geschäfte macht und später einen Haufen Müll zurücklässt) darauf bestand, dass ich gut erkennbar an einem ihrer Tische saß und nicht etwa am Mobiliar des Nebenmanns. Zeigte übrigens Wirkung: zehn Minuten später war ihr verwaistes Straßengeschäft brechend voll. Wo ein Ausländer isst, kann ohne Lebensmittelvergiftung gespeist werden, so das gesendete Signal. Aha.
Ach ja: Jede chinesische Stadt, durch die mindestens zwei Flüsse fließen, als das »Venedig des Ostens« zu bezeichnen ist ungefähr genauso kreativ wie in Deutschland für jeden asiatischen Film auf DVD irgendeinen Bezug zu Quentin Tarantino zu finden. Die Leute tun es trotzdem. Und weil ich sowieso nie gute Titel finde, mache ich es einfach auch mal.
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