Habt ihr noch nicht genug von all den Wasserdörfern, die in Shanghais Umgebung Besucher anlocken? Suzhou ist euch zu ausgelutscht? Dann bietet die Kanalstadt Shaoxing mit ihren authentischen Sträßchen wie der Cangqiao Straight Street eine gute Alternative. Aber Vorsicht: Nicht nur in dieser Straße kann es in Shaoxing ganz schön stinken – und schuld daran sind nicht die Kanäle.
绍兴 – Shaoxing
Ich kann von Glück reden, nicht in Shaoxing zu wohnen. Ein „Shaoshi in Shaoxing“ ist nämlich ein echter Zungenbrecher und wird an unserem Wochenende in der Stadt zum Running Gag. Immerhin klingt mein Spitzname aus Herrn M.s Mund zumindest für mich oft wie Shaoxing.
Die Fahrt vom außerhalb gelegenen Bahnhof für die Schnellzüge bis zu unserem Hotel in der Innenstadt bewerten wir, was an unserem Taxifenster vorbeifliegt: „wie Nanjing in den Achtzigern“, „ärmlicher als Yangzhou“, „fast wie in Peking.“ Shaoxing bietet rund 5 Millionen Einwohnern ein Zuhause, von denen aber gerade einmal 1,7 Millionen im städtischen Siedlungsgebiet leben. Für chinesische Verhältnisse ist die malerische Kanalstadt also eher ein kleines Städtchen und genau so fühlt sie sich tatsächlich an. Klein, verschlafen, altmodisch.
Am Fushan-Park vorbei zur Cangqiao Straight Street
In der chinesischen Geschichte ist die Stadt allerdings im Bereich Kultur und Bildung sehr wichtig: unzählige berühmte Personen wie der Schriftsteller Lu Xun, der Politiker Zhou Enlai oder das Kalligraphie-As Wang Xizhi wurden hier geboren oder lebten hier. Ihre Geburts- oder Wohnhäuser können heute als (meist kostenlos betretbare) Museen besucht werden.
„Wer sich dafür nicht interessiert, wird in Shaoxing nicht auf seine Kosten kommen“, meint Herr M. und irgendwie hat er Recht. Die Stadt, die bereits seit über 2500 Jahren unter verschiedenen Namen existiert, ist in großen Teilen denkmalgeschützt und hat nicht den Anspruch, Touristen zu bespaßen, sondern ihnen mit all den alten Häuschen, Brücken und Kanälen eine authentische Kanalstadt näherzubringen. Für diese Bemühungen hat Shaoxing mit dem „Regional Heritage Protection Award in the Asia-Pacific Region“ sogar einen UNESCO-Preis gewonnen, wie die stolze Inschrift auf einer Stele in der Cangqiao Straight Street verkündet.
Kanal, der an der Cangqiao Straight Street entlangführt
仓桥直路 – Cangqiao Straight Street
Rund anderthalb Kilometer zieht sich die Straße einen Kanal entlang. Höchstens die Hälfte davon ist für Touristen erschlossen. Hier reihen sich dann auch wie in jedem anderen Wasserdorf Cafés und Imbissstände aneinander, allerdings etwas weniger penetrant und hip als in anderen Wasserdörfern. Das haben wir Anti-Verschandelungsgesetzen zu verdanken, die genau vorschreiben, wie sehr Fassaden verändert werden dürfen, um das Gesamtbild nicht zu zerstören.
Der touristische Teil der Cangqiao Straight Street
Die Stadt rühmt sich außerdem damit, nur rund ein Fünftel der dort lebenden Bevölkerung umgesiedelt zu haben, so dass die Gassen ihren entspannten Wohncharakter nicht verloren haben. Vielleicht ist das ein Grund, warum viele chinesische Touristen lieber in die berühmten Wasserdörfer fahren, wo touristisch etwas mehr geboten wird. Angenehmer Nebeneffekt: In Shaoxings Gassen herrscht kein Gedränge, kein Geschiebe, sondern eine entspannte und leise Atmosphäre.
Warum es in Shaoxing so stinkt
Eine Spezialität, für die Shaoxing bekannt ist, ist in den Gassen (leider) allgegenwärtig: Stinktofu (臭豆腐, chòu dòufu). Selbst wenn man sich keine Portion als Streetfood kauft oder im Restaurant isst, kommt man kaum drum rum. Der Gestank, der an umgekippte Seen und Kanalisationen erinnert, weht überall durch die Gassen. Frittierter Stinktofu wird in Shaoxing besonders gern verkauft. Sein schwacher Nebengeschmack, der an Kuhstall erinnert, hängt mir aber trotzdem unangenehm am Gaumen und so zählt der Tofu sicher nicht zu meinen Lieblingen. Er schmeckt aber auch nicht so widerlich, wie man durch den Gestank vermuten würde.
Der Legende nach wurde Stinktofu in der Qing-Dynastie von einem Mann namens Wang Zhihe erfunden. Nachdem er bei der kaiserlichen Beamtenprüfung in Peking durchgefallen war, schlug er sich als Tofuverkäufer durchs Leben. Einmal packte er die Tofureste gesalzen in einen Krug. Als er ihn Tage später wieder öffnete, schlug ihm ein bestialischer Gestank entgegen und der Tofu sah auch alles andere als frisch aus. Was läge da näher, als das gammelige Zeug trotzdem zu essen? Wang fand, dass der Tofu überraschend gut schmeckte und so begann die Erfolgsgeschichte dieser fragwürdigen Spezialität.
Delikatesse: Frittierter Stinktofu
Fazit
In der Cangqiao Straight Street habe ich meine ersten Eindrücke von Shaoxing gesammelt – und es hat mir gut gefallen. Was es in Shaoxing sonst noch so zu tun gibt, erfahrt ihr in zukünftigen Postings. Bis dahin kann ich schon mal sagen: Die Stadt lohnt sich. Mindestens ein Wochenende braucht man dafür aber schon.
Von Shanghai aus ist man mit dem Schnellzug in rund einer Stunde in Shaoxing.
Habt ihr schon mal Stinktofu gegessen? Wie hat es euch geschmeckt?
Cangqiao Straight Street ohne Tourismus
Karte
Die in diesem Artikel erwähnten Punkte findet ihr als grüne Symbole auf der Karte. (Die andersfarbigen Symbole werde ich in späteren Artikeln zu Shaoxing aufgreifen.)
War leider noch nicht in Shaoxing, auch wenn es schon 1991 auf meinem Plan stand. Mal sehen, wann ich das endlich schaffe! Liest sich sehr schön und interessant…
LG
Ulrike
Ich war auch erst nach über sechs Jahren zum ersten Mal in Shaoxing, obwohl es auch immer irgendwie auf unserer Liste stand 😉 Es gibt halt einfach zu viele interessante Orte in China!
Hallo und Danke für den interessanten Bericht. Ich hasse Stinke Tofu, aber da will ich trotzdem mal hin. In China habe ich Tofu lieben gelernt, vor allen der Räuchertofu hat es mir angetan. Lecker als Salat. Meine nächsten Gäste werde ich bestimmt nicht nach Qibao schleppen, dafür hast Du mir inzwischen bessere Tipps zum zeigen gegeben. Übrigens kann ich Xitang und Wuxi empfehlen . Ich war dort mit der SJTU auf Studenten Ausflug .Und wer frische Luft braucht muss mal nach Anji . Herrliche Bambuswälder . Ich habe dort getrockneten Bambus gekauft ,der gekocht fast wie Steinpilze schmeckt. Hast Du eine Ahnung wo ich in Shanghai getrockneten Bambus bekomme? Ich mag das Zeug 🙂
lg Ina
p.s. wie bekomme ich denn mein Bild in Deinen Block , das schwarz weiss Gemälde finde ich so unpersönlich. Bitte einfach erklären wenns geht, denn ich bin eine “ Computer Niete“…danke
In Xitang war ich tatsächlich noch nicht, in Wuxi nur mal einen Nachmittag, an dem ich nicht viel gesehen habe.
Beim getrockneten Bambus würde ich spontan Carrefour sagen, aber ich weiß natürlich nicht, welchen du da genau meinst. Da gibt es viele verschiedene Arten (ich habe auch mal welchen gegessen, den man auch ungekocht als Snack verputzen konnte, war auch sehr lecker).
Ach so, wegen dem Bild: Das müsste mit einem Konto bei gravatar.com zusammenhängen. Wenn du dich dort anmeldest und ein Bild hochlädst, müsste das Bild dann automatisch in deine Kommentare auf Blogs eingefügt werden, auch wenn du wordpress & co. nicht nutzt.
Dieser und der letzte Bericht über den Houtan Park klingen richtig entspannt. Würde ich in Shanghai leben, wäre ich wahrscheinlich untentwegt auf der Suche nach solchen Ruheoasen, um dem Großstadtwahnsinn zu entgehen.
Ich habe heute übrigens nochmal Deinen Bericht über Nanjing und die Pflaumenblüte gelesen, um mir Anregungen für meinen Kurzvortrag im Chinesischunterricht zu holen. Zum nächsten Mal dürfen wir jetzt das Gedicht von Lin Bu übersetzen.
Ja, diese Oasen sind schon wichtig. Es kommt natürlich auch drauf an, wo man sich in Shanghai so aufhält – da wo alle sind oder in einer von Haus aus ruhigeren Gegend? An sich verlaufen sich die Menschenmassen in Shanghai meistens schon ganz gut …
Schön, wenn ich dich inspirieren konnte 🙂
Stink Tofu klingt toll. Danke für den Bericht. Lg Cornelia
Manche lieben ihn, manche hassen ihn 😉 Ist wie mit Käse – da darf man ja auch nicht so genau drüber nachdenken, wie der entsteht …
Wie immer interessant von dir und dieser Kanalstadt zu lesen.LG Claudia
Danke ☺️