Lianhuanhua – Chinesische Bilderbüchlein

Lianhuanhua

Lange Zeit war in China ein ganz bestimmtes Buchformat populär: Lianhuanhua. Die kleinen Heftchen, kaum größer als eine Handfläche, könnte man als eine Art chinesische Bilderbüchlein bezeichnen. Mit ihren großen Bildern und wenig Text waren sie vor allem bei Kindern und beim einfachen Volk sehr beliebt. Heute können sie als Antiquitäten viel Geld wert sein.

连环画 (liánhuánhuà) – zusammenhängend + Bild = Bildergeschichte

Als meine Schwiegereltern kürzlich ihre Wohnung renovierten, misteten sie radikal aus. Dabei förderten sie einen ganzen Sack uralter Heftchen zutage, die Herr M. als Kind gern gelesen hat – und vernichteten den Inhalt sofort. Herrn M.s Kindertage sind schließlich schon lange vorbei.

Was für ein Glück, dass ein paar Ausgaben der in China einst so populären Bildergeschichten in Serienform in einem anderen Sack überdauert haben und ich so doch noch ein paar Überreste einer chinesischen Kindheit in den Händen halten konnte.

Die Anfänge

Beliebte Geschichten in vielen Bänden, aufbereitet mit großen Bildern und wenig Text – Lianhuanhua. Ende des 19. Jahrhunderts experimentierten chinesische Magazine zum ersten Mal mit dieser Erzählform. Schon damals waren die Bildchen mit den kurzen Texten an Kinder und Leute gerichtet, die nicht so gut lesen konnten – simple Erzählungen fürs einfache Volk also.

In den 20ern und 30ern boomte das Lianhuanhua-Geschäft in Shanghai, wo die Heftchen auch produziert wurden. Mit Beginn der Kulturrevolution änderten sich schließlich die Inhalte der Hefte. Populäre Geschichten mussten reinrassiger Propaganda weichen.

Lianhuanhua
Die kümmerlichen Reste einer einstmals stolzen Sammlung: Lianhuanhua aus den frühen 80ern, verschiedene Genres. Eigentum von Herrn M.

Die 70er und 80er – Ein neuer Höhepunkt

Erst in den 70ern und 80ern fanden die ursprünglichen Lianhuanhua-Geschichten einen neuen Höhepunkt. Auch Herr M. tingelte als kleiner Junge Anfang der 80er regelmäßig zu Nanjings Kiosken, um komplette Serien zu sammeln. Die Heftchen kosteten damals zwischen 0,14 RMB und 0,40 RMB (ca. 1-4 Cent). Bei den Genres war von historischen Abenteuergeschichten, chinesischer Mythologie, Kungfu-Action, Science Fiction oder klassischen Seifenoperthemen alles dabei.

Selbst chinesische Adaptionen westlicher Hits wurden unter die Leute gebracht. Wenn Chinesen, die die Blockbuster wahrscheinlich selbst nur vom Hörensagen kannten, etwa Star Wars nacherzählten, kann das herrlich skurril werden – oder wusstet ihr, dass die Skywalkers einen Reiskocher besitzen?

Auch in den 70er/80er Jahren richteten sich die Erzählungen hauptsächlich an Kinder und ans einfache Volk. Herr M. kannte die Hefte deshalb unter dem Namen 小人书 (xiǎorénshū), Kinderbücher (wobei das 小人 auch für einfache Leute steht).

Aus heutiger, westlicher Sicht sind die Zeichnungen teilweise ziemlich brutal. Ständig wird irgendjemand im Kampf getötet oder exekutiert. Da ist es nicht verwunderlich, dass schon mal der ein oder andere Kopf durchs Bild rollt. Auch die politischen Themen, die bei Kriegsgeschichten angeschnitten werden, sind eher weniger für Kinder geeignet. Herrn M. und seinem Bruder gefiel es trotzdem.

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Jetzt

In den 90ern ebbte die Lianhuanhua-Welle endgültig ab. Inzwischen konnte sich fast jeder einen Fernseher leisten und sich, statt selbst ein paar Sätze lesen zu müssen, von TV-Serien berieseln lassen. Die meisten Reihen der Bilderbüchlein wurden deshalb eingestellt.

Heute soll die Nachfrage nach den Heftchen angeblich wieder steigen, so dass einige Serien neu aufgelegt werden (allerdings habe ich die noch an keinem Kiosk gesehen). Die zerfledderten Originale von damals sieht man jedoch noch relativ oft in den Regalen von Antiquitätenhändlern. Gut erhaltene Ausgaben, komplette Serien gar können heute viel Geld wert sein.

Herr M. guckt natürlich in die Röhre: Seine Eltern haben ja vorschnell den Großteil seiner stolzen Sammlung weggeworfen. (Ist natürlich fraglich, ob seine Ausgaben in ihrem durch Kinder verwüsteten Zustand noch etwas wert gewesen wären, aber trotzdem!). Auch mein geheimes Vorhaben, durch das Lesen einer solchen Reihe ein bisschen alte Kultur und Geschichte Chinas zu atmen (und auf Herrn M.s kindlichen Pfaden zu wandeln), ist damit schon im Ansatz gescheitert. Echt schade.

4 Gedanken zu “Lianhuanhua – Chinesische Bilderbüchlein

  1. Ich kann kein chinesisch und bin neu auf die Lianhuanhua gestossen, als ich mich auf dem Internet nach einer übersetzten Ausgabe der Reise nach Westen umgesehen habe. Bei „Editions Fei“ gibt es eine Ausgabe auf französisch in Comicform in der tradtionellen Lianuanhua Art. Ausserdem auch Ausgaben der Räuber vom Liangshan Moor, der Geschichte der 3 Königreiche, und mehr. Ich habe sie bestellt, aber noch nicht bekommen, aber online sehen die Ausgaben sehr schön aus. Eventuell gut um einen Eindruck zu bekommen, wenn man kein chinesisch kann aber die Comics trotzdem gerne lesen möchte?
    herzliche Grüsse
    Dirk

    1. Ich wusste gar nicht, dass es die Heftchen in Übersetzungen gibt. Sicher eine gute Möglichkeit, in die Literaturform und chinesische Klassiker reinzuschnuppern, sofern man natürlich Französisch kann, zumal die Klassiker, die du erwähnst, in Romanform ja alle gut die 2000 Seiten sprengen.

      Ich hoffe die Übersetzung der „Reise nach Westen“ hast du gefunden. Da gibt es ja zum Glück seit einiger Zeit eine deutsche Komplettübersetzung des Romans von Reclam.

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