Die Reise nach Westen – Ein affengeiler Klassiker

Die Reise nach Westen, Journey to the West, Sun Wukong

Eben hat in China das Jahr des Affen begonnen. Da darf natürlich ein ganz besonders berühmter Affe nicht fehlen: Sun Wukong, der Affenkönig, der im Reich der Mitte schon seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt. Ihr kennt die Figur aus dem klassischen Roman Die Reise nach Westen noch nicht? Dann wird’s aber Zeit.

Was macht man, wenn man regelmäßig zum kaiserlichen Examen nach Nanjing reist und jedes Mal durchfällt?* Man fasst eben folkloristische Erzählungen zu einem Roman zusammen. So zumindest hat es Dichter Wu Cheng’en ( 吴承恩) aus der Provinz Jiangsu gemacht, zu dessen Erinnerung heute auf dem Fuzimiao-Gelände in Nanjing eine Statue steht.

„Die Reise nach Westen“ (englisch: „Journey to the West“) nennt sich sein Werk aus dem 16. Jahrhundert, das von einem Mönch handelt, der zusammen mit einem Affen, einem Schwein und einem Dämon auf der Suche nach heiligen Schriften gen Westen reist. Der über 2000 Seiten starke Roman ist nicht nur dank dem affengeilen Protagonisten Sun Wukong bis heute bekannt und geschätzt und wird nach wie vor in alle möglichen Kunstformen adaptiert – Opern, Comics, Computerspiele, unzählige Filme und Serien, in Realverfilmung und Zeichentrick, für Erwachsene oder Kinder. Selbst in Werbespots für Handys oder Onlineshops stehen die Romanfiguren Pate. Und der Affenkönig passt natürlich perfekt als Aushängeschild auf diversem Neujahrsschmuck. Schließlich ist 2016 in China das Jahr des Affen.

Die Reise nach Westen, Journey to the West, Wu Cheng'en
Wu Cheng’en am Fuzimiao, Nanjing

西游记 – Die Reise nach Westen

Historischer Hintergrund: Auf der Suche nach heiligen Schriften reist der Mönch Xuanzang (602-664) während der Tang-Dynastie siebzehn Jahre lang durch Zentralasien bis ins heutige Indien. Eine Odyssee, die es wert ist, weitererzählt und ausgeschmückt zu werden.

Die Geschichte, die während der Ming-Dynastie (1368–1644) von Wu Cheng’en erstmals vollständig aufgeschrieben wird, hat wohl kaum noch etwas mit den historischen Geschehnissen zu tun. Inzwischen ist das Werk ein frühes Fantasy-Epos, vollgestopft mit chinesischer Kultur, Buddhismus und Taoismus, bevölkert von ausgefallenen Helden, Dämonen und göttlichen Gestalten, garniert mit einer großen Portion Kung Fu wider die Schwerkraft und, ja, auch Fäkalhumor. In China haben Slapstick, geschmacklose Witze und überdrehte Kung-Fu-Action eben eine lange Tradition.

Mönch Xuanzang ist auch nicht länger allein unterwegs. Neben seinem Pferd, das eigentlich ein Drache ist, schließen sich ihm der arrogante Affenkönig Sun Wukong, das faule Schwein Zhu Bajie (ein Name, der in China auch als Schimpfwort gebräuchlich ist) und der leider etwas blass profilierte Dämon Sha Wujing an. Und die stehlen dem laschen Mönch, der gerne mal in Tränen ausbricht oder vor Schreck vom Stuhl fällt, ganz klar die Show – allen voran natürlich Sun Wukong.

Die Reise nach Westen, Journey to the West, Wu Cheng'en
Affenkönig Sun Wukong und Dämon Sha Wujing als Neujahrsdeko in Nanjing

孙悟空 – Sun Wukong, der Affenkönig

Chinas berühmtester Affe bekommt gleich eine ausführliche Vorgeschichte, die mit der interessanteste Teil des Romans ist. Geschlüpft aus einem Stein-Ei mausert er sich bald zum König der Affen und führt sich zum Wohl seines Volkes (und seines Aussehens, er selbst nennt sich auch „handsome monkey king“) ganz schön auf, beansprucht für sich die Unsterblichkeit, stiehlt Waffen und Outfits aus allen Himmelsrichtungen zusammen, mischt Himmel und Hölle auf und wird zuletzt von Buddha übertölpelt und unter einem Berg eingesperrt, bis ihm Mönch Xuanzang begegnet. Herrlich!

Jahr des Affen, Sun Wukong, Affenkönig
Sun Wukong als Neujahrsgruß bei WeChat

猪八戒 – Zhu Bajie, das Schwein

Die meisten chinesische Frauen mögen einer offiziellen Umfrage zufolge (habe leider den Link nicht mehr) ausgerechnet das Schwein Zhu Bajie am liebsten, weil der nicht so arrogant wie der Affe, nicht so lasch wie der Mönch und auch keine so blasse Figur wie Sha Wujing ist. Sie finden das Schwein „gemütlich und witzig“ und irgendwie muss ich mich ihnen anschließen. Vor allem seine ewigen Streitereien mit Sun Wukong lesen sich einfach herrlich. Da ist es dann auch ziemlich nebensächlich, dass Zhu Bajie eigentlich auch keinen so tollen Charakter hat. Er wurde nämlich als Schwein auf die Erde verbannt, weil er als Marshall auf einem himmelskaiserlichen Fest erst zu viel gesoffen und dann Mondgöttin Chang’e sexuell belästigt hatte.

Die Reise nach Westen, Journey to the West, Wu Cheng'en
Zhu Bajie und Mönch Xuanzang als Neujahrsdeko in Nanjing

Fantasievolle Odyssee

Aber auch die Odyssee der bunt zusammengewürfelten Truppe an sich wird nicht langweilig – vor allem dann nicht, wenn man jeden Tag nur ein, zwei Kapitel liest, denn fast jedes Kapitel ist im Grunde ein in sich abgeschlossenes Abenteuer. Und was da so an Ideenreichtum und Fantasie zusammenkommt, ist wirklich köstlich.

Der hitzköpfige Sun Wukong ist zum Beispiel irgendwann so stark, dass er Passanten reihenweise „zu Hackfleisch“ haut, wenn er ihnen eigentlich nur ein Bein stellen wollte. An himmlischen Bäumen hängen Pfirsiche, die aussehen wie Föten, der Mönch wird sogar einmal schwanger und die Hölle ist bürokratischer als das echte Leben (oder ist Bürokratie die Hölle?). Die berühmte Episode rund um Prinzessin Iron Fan auf ihrem Feuerberg finde ich auch ziemlich stark und natürlich liebe ich es, wie Affe und Schwein miteinander streiten, wie sie Sha Wujing gegeneinander ausspielen und sich und Mönch Xuanzang immer wieder in lebensbedrohliche Situationen manövrieren. Dass sie aus jeder prekären Lage wieder herauskommen, ist zwar klar, aber das „Wie“ hält bei der Stange. Sun Wukong beherrscht zwar die 72 Verwandlungskünste – nur was, wenn die ihm einmal nicht weiterhelfen können?

Einziger Wermutstropfen: Auf Deutsch existieren nur stark gekürzte Fassungen oder arg geraffte Zusammenfassungen (die längste, die ich entdeckt habe, hatte gerade mal 800 Seiten – oder weiß da jemand was anderes?). Ich griff deshalb auf die englische Komplettübersetzung von Foreign Language Press zurück, die recht einfach und unterhaltsam geschrieben ist.

Die Reise nach Westen, Journey To The West, Bücher
Sehr zu empfehlen: Meine Ausgabe von „Journey To The West“ by Wu Cheng’en, translated by W.J.F. Jenner, vier Bände im Pappschuber, ISBN: 978-7-119-01663-4, auf Amazon ansehen

Verfilmungen

Chinesen lieben ihre Klassiker und verfilmen so manche Geschichte regelmäßig neu. Auch „Die Reise nach Westen“ existiert in unzähligen Varianten und wird praktisch jährlich mit mindestens einem neuen, eventuell noch aufwändiger produzierten Film gewürdigt. Besonders beliebt scheint die Anfangsepisode zu sein, in der der Affenkönig Himmel, Erde und Hölle aufmischt, aber auch einzelne Nebenfiguren aus dem Roman wie Prinzessin Iron Fan oder Nezha (der mit den Feuerringen) bekommen ihre eigenen Filme.

Auch wenn Herr M. als Kind mit Begeisterung eine erfolgreiche 80er-Jahre-Serienverfilmung von „Die Reise nach Westen“ verfolgte, ist er heute der Meinung, dass es keine einzige gelungene chinesische Verfilmung des Stoffs gibt. Es ist ja auch wirklich nicht gerade leicht, kostümierte Menschen als antropomorphe Tiere zu verkaufen, ohne dass es lächerlich wirkt. Da hat man es beim Zeichentrick einfacher und so eilt dem Stoff schon mal voraus, dass er für Kinder gedacht ist. Tatsächlich ist die Geschichte aber für alle Altersklassen was, es kommt eben auf die Präsentation an.

Die Reise nach Westen, Journey To The West, Bücher
4x Affenkönig: Alte Shaw-Brothers-Verfilmungen im Set

Die Hongkonger Shaw-Brothers verfilmten in den 60er Jahren zum Beispiel vier Episoden des Klassikers (The Monkey Goes West, 1966; Princess Iron Fan, 1966; The Cave of Silken Web, 1967; The Land of Many Perfumes, 1968). Die Filme sind zwar alles andere als perfekt, haben aber dieses gewisse 60er-Jahre-Flair, das das bunte Kostümspektakel mit Opernanleihen zu einem nostalgisch-trashigen Spaß macht. Ich hab’s gern gesehen.

Trailer: The Monkey Goes West (1966)

Natürlich gibt es auch aktuelle Werke, schließlich werden immer noch so gut wie jedes Jahr Filme zum Thema gedreht, mal mehr, mal weniger nah an der literarischen Vorlage. Im Flieger sah ich neulich „The Monkey King“ (2014) mit Donnie Yen als Affenkönig und Chow Yun-Fat als Jadekaiser. Üble Spezialeffekte, unerträglicher Dämonenschmarrn rund um Aaron Kwok und rudimentäre Handlung sehen dann so aus:

Trailer: The Monkey King (2014)

Wer noch weiter von der Vorlage weg will, sehe zum Beispiel ins Amiland. Dort wurde das Thema als Forbidden Kingdom verwurstet. Damit dürfte wohl auch klar sein, warum Jet Li da im peinlichen Affenkostüm durchs Bild hüpfen darf. Und erinnert ihr euch noch an die Animé-Serie „Dragon Ball“? Auch die wurde beispielsweise von „Die Reise nach Westen“ inspiriert.

Noch mehr Adaptionen für Film, Fernsehen und Bühne gefällig? Auf Wikipedia gibt’s ’ne lange Liste.

Klassisches Affenkönig-Theme von 1986

Fazit

Dank Fantasie, Witz und gelungenen Figuren zählt der Klassiker ganz klar zu meinen Lieblingsbüchern, seit ich ihn ca. 2008 gelesen habe (meine damaligen Kollegen fanden mich bestimmt ziemlich bescheuert, weil ich monatelang die grünen Büchlein mit mir herumschleppte). Noch heute hat „Die Reise nach Westen“ Einfluss auf die chinesische (und ferner vermutlich auch auf die japanische und koreanische) Popkultur und wird immer noch gern auf die ein oder andere Weise konsumiert. Erst vor ein paar Tagen schaute die Besitzerin unserer liebsten Grillbude gleich mehrere Folgen der alten TV-Serie am Stück. Und die Bücher? Die lassen sich auf Englisch, mal abgesehen von den ersten Seiten, die sich um die Entstehung der Welt drehen, erstaunlich lässig lesen.

Ich lege den Roman jedem ans Herz, der sich für China interessiert, einfach um nicht ganz so im Regen zu stehen, wenn mal wieder irgendwo diese „komischen Figuren“ herangezogen werden oder der hundertste Affenkönig-Verschnitt im Kino läuft. Wer gern Klassiker liest, bekommt hier mal etwas anderes geboten und wer Lust auf „etwas andere Fantasy“ hat, wird hier ebenfalls gut bedient.

Für mich zählt „Die Reise nach Westen“ zu einem der unterhaltsamsten Klassiker überhaupt. Was denkt ihr?

Kennt ihr die Reise nach Westen? Welche ist eure Lieblingsfigur?

* Übrigens: Irgendwann schaffte Wu Cheng’en die Prüfung doch und durfte endlich Beamter werden. Allerdings fand er seinen Job dann ziemlich kacke. So kann’s gehen.

12 Gedanken zu “Die Reise nach Westen – Ein affengeiler Klassiker

    1. Und so als Große? Gefällt dir die Geschichte immer noch?

      Ich beneide dich ja ein bisschen. Als Kind hätte mir die Geschichte bestimmt auch gefallen. Aber wir hatten damals ja nix 😉

      1. wukong ist mein held und irgendwo auch vorbild (du musst wissen, ich bin im jahr des affen geboren). als kind war die geschichte spannend und aufregend. jetzt als große ist die geschichte eine erzählung über das leben. dass man mal fehler macht. das man auch mal niederlagen einstecken muss. aber man sollte immer wieder aufstehen, seine fehler eingestehen und als besserer mensch (oder in dem fall wesen) weiter leben.

        daher um es nochmal kurz zu fassen, ja ich liebe die geschichte immer noch. hab alle dvd’s davon zu hause und schau die mir gelegentlich mit familie nochmal an.

        ich bin ja in deutschland auch aufgewachsen und finde aber es gab hier auch viel tolles. z.b. pipi langstrumpf und klassische märchenfilme 🙂

  1. Hallo!

    Ich habe kurioserweise erst gestern von dem Roman erfahren, als ich für einen meiner Blogs über die Trope „Monster of the Week“ recherchiert habe und über „Die Reise nach Westen“ als ältesten Vertreter der Trope stolperte.
    Dein Blogpost macht Lust darauf, sich tatsächlich den ganzen Roman zu Gemüte zu führen, er klingt sehr unterhaltsam und auch für heutige Verhältnisse sehr lustig :D. Schwangere Männer gibt es also nicht erst seit de unsäglichen male-preg-Trend in der Fanfiction! 😀

    1. Es ist schon seltsam, dass der Roman gerade in Deutschland so extrem unbekannt ist, wo man doch sonst aus jedem Furz aus China eine Staatsaktion macht 😉

      Dass der Affenkönig der älteste Vertreter des „Monster of the Week“ ist, wusste ich nicht. Da sieht man mal, wie wichtig der Roman ist 😀

      male-preg: Manche Trends werde ich nie verstehen …

      1. Und wenn man vor allem bedenkt, dass ich seit Jahren Bildbände zum Thema „Kunst und Kultur des alten China“ besitze und da steht kein Wort von dem Roman…
        Er ist sogar bahnbrechend :D. Das ist jedenfalls der älteste bekannte Vertreter der Trope. Der Artikel geht im April dann online :).
        Ich auch nicht… Aber jedem Tierchen… ^^

  2. Mein Vater hat mir die Geschichte vor 30 Jahren vorgelesen. Damals haben wir ein geliehenes Exemplar einer chinesisch-tschechisch-deutschen Übersetzung (vermutlich irgendwo aus der DDR) vom Artia-Verlag in Prag bekommen, enthalten waren etwa 30 Kapitel. Das Buch habe ich geliebt wie wenige Schriften sonst und steht bei mir in einer Reihe mit den Kinderbüchern von Tomi Ungerer. Heute lese ich die Geschichte meinen Neffen vor, der ältere baut sich im Kindergarten schon mal eine gold-eiserne Keule um seine Kindkollegen damit zu terrorisieren.

    Die vollständige Neuübersetzung liegt schon bei mir auf dem Tisch (70 €), ich traue mich nur noch nicht sie zu lesen, weil ich noch sehr an der Sprache der ersten Übersetzung hänge. 🙂

    Ich hoffe, die neue Übersetzung kann man auch Kindern vorlesen.

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